14.12.2021, 10 Uhr
Schwierigkeiten mit dem nationalen Erbe
Eine Barlach-Ausstellung der Akademie 1951
© Akademie der Künste
Die Ost-Akademie – bis 1954 alleinige Nachfolgerin der Preußischen Akademie – will ein Jahr nach ihrer Gründung mit der Barlach-Ausstellung einen Künstler ehren, der 1937 zum Austritt aus der Künstlersozietät genötigt worden war. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist Barlach vor allem als Bildhauer bekannt und auch von der Besatzungsmacht Sowjetunion offiziell geschätzt dafür, dass er „die kapitalistische Wirklichkeit einer Kritik unterzog und gewissen realistischen Traditionen treu blieb“.
1951, in den Anfängen des Kalten Krieges, gilt den DDR-Oberen der Realismus als einzig fortschrittliche künstlerische Methode. Das Feindbild heißt „Formalismus“: Kampf- und Sammelbegriff gegen jegliche Spielart abstrakter Kunst und nicht-kunstkritische Kategorien wie Religion und (fehlende) Volksnähe. Künstlerische Freiheit wird nicht geschätzt.
In der Akademie wird speziell die Sektion Bildende Kunst zunächst besonders kritisch beobachtet. Unter diesen widrigen Voraussetzungen fahren Akademie-Vertreter im Juli 1951 nach Güstrow zu Friedrich Schult, dem Nachlassverwalter Barlachs, und treffen die Auswahl der Exponate.
Willy Kurth, Direktor der Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam, schreibt den Titelbeitrag für den Katalog. Seine Darstellung fällt einem unrühmlichen Zusammenspiel zwischen dem Amt für Literatur und Verlagswesen, der Akademie unter Direktor Rudolf Engel und der Staatlichen Kommission für Kunstangelegenheiten unter Helmut Holtzhauer zum Opfer. „Barlach und die Einsamkeit“ von Heinz Lüdecke (wissenschaftlicher Mitarbeiter der Akademie) rückt an die erste Stelle im Katalog und stellt Barlach in eine Reihe unverstanden-isolierter Künstler des 19. Jahrhunderts.
Schon bei der Pressekonferenz am 11. Dezember sehen sich die „Akademiker“ mit der Frage konfrontiert, „ob Barlach eventuell als Formalist zu bezeichnen wäre“. Drei Tage später hält Gustav Seitz die Eröffnungsrede. Seine Worte „Wir reihen ihn [Barlach] in unser größtes deutsches Erbe ein“ provozieren Widerspruch. Noch am selben Tag trifft ein Brief von der Staatlichen Kunstkommission ein. Barlach leiste mit seinem „Mystizismus“ keinen „Beitrag zur Entwicklung einer fortschrittlichen Kunst“. Direktor Engel solle mit seinen Mitarbeitern beraten, „ob es wirklich zweckmäßig ist, im gegenwärtigen Augenblick des Kampfes um den Realismus gerade Künstler dieser Art […] herauszugeben“. Auch die „sehr kritische Würdigung“ der Ausstellung sagt Holtzhauer voraus.
Zunächst berichtet die Ost-Presse durchweg positiv; die Westpresse sachlich-anerkennend, einige mit kleinen Spitzen gegen Lüdeckes Katalogtext. Der eigentliche Angriff kommt aus den eigenen Reihen:
Die Tägliche Rundschau druckt am 29. Dezember 1951 unter der Überschrift „Ein merkwürdiges Vorwort“ einen Artikel ihres Redakteurs Kurt Magritz, der Barlach dem Formalismus des 20. Jahrhunderts zuordnet. Barlachs Kunst sei „stark beherrscht von antidemokratischen Tendenzen“, „ihrem Inhalte nach mystisch und ihrer Form nach antirealistisch“. Fünf Tage später springt Wilhelm Girnus (wenig später Mitglied im ZK der SED) mit seiner Betrachtung im Neuen Deutschland Magritz bei. Girnus betont, Barlachs Darstellung ärmster Menschen bedeute nicht, wie die Akademie fälschlicherweise angenommen habe, Volksverbundenheit. Barlach sei ein rückwärtsgewandter Künstler, weil er die Menschen des „Lumpenproletariats“ zu Märtyrern mache und nicht zeige, wie das Elend überwunden werden könne. Beide lehnen Lüdeckes Einsamkeitsdeutung im Katalog ab.
Die westlichen Zeitungen stürzen sich auf die Artikel. „Einst entartet – jetzt formalistisch“, so der Tenor. Der Rundfunksender RIAS meldet aus West-Berlin die vermeintlich bevorstehende Schließung der Ausstellung.
Akademie-Mitglieder und -Mitarbeiter sind alarmiert. Eine Stellungnahme wird entworfen, diverse Sitzungen und Debatten finden statt, ein Vortrag wird abgesagt, der Traum von Barlach-Theateraufführungen in Ost-Berlin zerplatzt. Erklärende Briefe gehen nach Ost und West, um angeschobene Barlach-Projekte zu retten. Alles verläuft mehr hinter den Kulissen. In einem Brief heißt es: „Die Akademie hält es für unter ihrer Würde, sich in diese journalistische Polemik einzumischen.“ Der Presse-Sturm flaut erst ab, als Bertolt Brecht seine „Notizen zur Barlach-Ausstellung“ im Januarheft 1952 von Sinn und Form und Ende Februar auszugsweise auch in der Tagespresse veröffentlicht. Mit kleinen, klugen Zugeständnissen an die Politik und großem Lob für Barlach glättet er die Wogen.
Währenddessen strömen die Besucher aus Ost und West in die Ausstellung. Einer schreibt ins Gästebuch: „Wir lassen uns den Barlach nicht vermiesen!“
Elgin Helmstaedt