13.9.2013, 16 Uhr
Akademie der Künste trauert um Otto Sander
Der Schauspieler Otto Sander war unverkennbar. Rotblond und mit Schnäuzer, wasserblaue Augen, die aber so tief wirkten, als wären sie dunkelbraun, der Körper zart, gebeugt zuletzt, stets im langen, weiten Mantel schreitend – und dazu die Stimme eines Titans: rau und volltönend, wissend, trotzdem forschend und von einer fast magischen Kraft. Hob Otto Sander zu sprechen an, seien es Texte von Shakespeare oder Botho Strauß, Lessing oder Ringelnatz, ergab sich das Publikum sofort. Ein Satz von ihm, und man ließ sich tragen, fühlte sich getragen und aufgehoben, aber auch aufgeweckt durch die listige Durchdringung der Worte. Sprache war sein Auftrag und wurde durch ihn zum Auftrag, zur Tat. Überall sonst auf der Welt wäre einer wie Otto Sander ein belagerter Star gewesen. In Berlin, wo er seit 1968 lebte, war er den Nachbarn ein Nachbar, den Kinogängern und dem Theaterpublikum ein Garant im Etablierten wie im Experiment: War Otto dabei, ging man hin.
Otto Sander, seit 1985 Mitglied der Akademie der Künste und von 1989 bis 1994 auch Mitglied des Senats der Akademie, wurde 1941 in Hannover geboren. Nach einer Marinezeit studierte er in München Geisteswissenschaften, um Regisseur zu werden, merkte dann aber, dass er seine Ideen am liebsten selbst vorspielte – und blieb dabei. Nach ersten Engagements in Düsseldorf und Heidelberg kam er nach Berlin, wo er 1970 Mitglied in Peter Steins Schaubühnen-Ensemble am Halleschen Ufer wurde und den männlichen Teil des Ensembles neben Bruno Ganz für zehn Jahre wesentlich prägte. In Haupt- wie Nebenrollen war er markant und doch verblüffend wandelbar: poetischer Clown, lustvoll-anarchischer Spieler, in jeder Figur vorurteilslos und virtuos den Menschen zeigend.
Im Film machten ihn die Mitwirkung in Wolfgang Petersens „Das Boot“ (1981) und Wim Wenders’ „Der Himmel über Berlin“ (1987) weltberühmt. Als Engel Cassiel, der die Menschen nur beobachten, nicht aber in ihr Leben eingreifen kann, wurde Sander (neben Bruno Ganz als Engel Damiel) zum Sinnbild des Lebensgefühls der Künstler und Intellektuellen der 1980er Jahre im Westen. Auch wenn er danach immer wieder aufschloss und bis zuletzt aufgeschlossen blieb, ansprechbar für alle, gerade die Jungen, die ernsthaft etwas wollten – so wie er sich als Cassiel mit Zopf und ganz schmal und aufrecht mit zärtlichem Ernst von der Berliner Siegessäule abstößt und über Verkehr und Tiergarten hinweg in die Luft gleitet, rasch und mit gekonntem Ewigkeitsschwung, möchte man ihn sich jetzt, da er am gestrigen Donnerstag starb, bleibend vorstellen. Ein Volksschauspieler im beglückendsten Sinne, dessen Blick in die Ferne nachglüht und dessen Stimme nachhallt als ein Stück – ja, sagen wir es ruhig: Heimat in der Kunst.
Klaus Staeck
Präsident der Akademie der Künste
Ulrich Matthes
Direktor der Sektion Darstellende Kunst