6.4.2018, 13 Uhr
„Die Konzerte von FMP liebt man oder man hasst sie“
Markus Müller, Kurator der aktuellen Akademie-Ausstellung „Free Music Production / FMP: The Living Music", spricht im Interview über den Mythos des Musiklabels FMP, seine Gründerväter und die Bedeutung der Musikerinitiative für Berlin und die DDR.
Herr Müller, was ist/war FMP und was war das Besondere daran?
Die Free Music Production (FMP) ist 1969 als Musikerinitiative entstanden – mit dem Ziel, die Arbeitsbedingungen und Einkommensverhältnisse zu verbessern. Eine Zeitlang war FMP auch ein Kollektiv. Alle auftretenden Musiker erhielten die gleiche Gage, veranstalteten ihre Konzerte selbst und entwickelten die Formate, in denen sie vor Publikum auftreten wollten. Vom Layout der Plakate bis zu den Flyern und Plattencovern wurde alles in Eigenregie designt. Der Geist des „Do it yourself" war eine zentrale Arbeitsweise von FMP, das hat Ende der 19070er Jahre auch die Punks an FMP interessiert. Die FMP hat ihre Arbeit früh um afrikanische und andere nichteuropäische Volksmusiken, aber auch Kooperationen mit Tänzern wie Pina Bausch, Min Tanaka, Ōno Kazuo, Christine Brunel, bildende Künstler wie Tomas Schmit, Martin Kippenberger, Albert Oehlen, A. R. Penck und Günther Förg oder Literaten wie Günter Grass erweitert.
Wer sind die wichtigsten Figuren von FMP?
Peter Brötzmann hat das Saxophonspielen revolutioniert und tourt bis heute durch die Welt. Bis in die 1960er Jahre galt Jazz als Musik, die eigentlich nur von US-Amerikanern gespielt werden konnte. Deutsche oder europäische Musiker würden nur kopieren. Mit der Generation um Brötzmann verstummte dieser Vorwurf, auch weil er eine ganz eigene Art des Spielens erfand und weltweit Zuhörer begeisterte. Immerhin bezeichnete Bill Clinton ihn als einen seiner Lieblingssaxophonisten.
Jost Gebers, ursprünglich Bassist, war von Anfang an dabei und führte ab 1976 die Geschäfte, bis heute betreut er das FMP-Archiv in Borken in Nordrhein-Westfalen. Er spielte allerdings nur bei den ersten Konzerten. Er beantragte beim Berliner Senat Gelder, organisierte die Konzertauftritte und machte die Programmhefte. Dabei bemühte sich die FMP immer um absolute Transparenz. In den frühen Programmheften, zum Beispiel zum Workshop in der Akademie der Künste am Hanseatenweg, sind die Ausgaben und Einnahmen, auch die Verluste, präzise benannt. Gebers kümmerte sich um FMP in seiner Freizeit und organisierte hunderte von Konzerten und Schallplattenaufnahmen. Ohne dieses hohe Maß an Selbstausbeutung aller Beteiligten hätte FMP wohl nicht fast 50 Jahre überlebt.
Neben Brötzmann ist noch Alexander von Schlippenbach zu nennen, ebenfalls einer der Gründer. Er gilt heute international als einer der zentralen Musiker und Komponisten und Bandleader des europäischen Free Jazz.
Was für ein Kontakt bestand zum ehemaligen Osten?
Jazz hatte im Kalten Krieg den ungewöhnlichen Status, dass er auf beiden Seiten des Vorhangs als förderwürdig galt. Vereinfacht ausgedrückt: Für den Westen war der Jazz die Musik der Freiheit, im Osten sah man ihn ab 1953, also nach Stalins Tod, als authentischen Ausdruck der unterdrückten afro-amerikanischen Arbeiterklasse. Ab den 1960er Jahren etablierte sich eine veritable Jazzszene. Die Reihe „Jazz in der Kammer" im Deutschen Theater brachte auch FMP-Musiker in die DDR. Jost Gebers knüpfte Anfang der 1970er Jahre die notwendigen Kontakte in den Osten und begann auch DDR-Musiker in Westberlin aufzunehmen. FMP war somit die erste westliche Plattenfirma, die DDR Musiker aufnahm. Die bekanntesten waren Konrad „Conny" Bauer oder Ernst Ludwig Petrowsky.
FMP-Musiker gingen mehrfach auf Tournee durch die DDR, spielten im Palast der Republik und vor 10.000 Zuhörern beim Peitzer Festival, das „Woodstock am Karpfenteich". Diese Zuhörerzahlen gab es im Westen kaum, das war auch für die westlichen Musiker faszinierend. FMPs Doppel-LP Snapshot Jazz Now/Jazz aus der DDR von 1980 bot einen sehr guten Überblick über die DDR-Jazz-Szene.
Wie lässt sich die Verbindung von FMP und Berlin beschreiben?
Jost Gebers schaffte es durch seine beharrlichen Bemühungen beim Senat, jährlich Unterstützung für FMP zu erhalten. Die Konzerte wurden Kult, wie auch die Platten, die in kleinen Auflagen von zum Teil nur 500 Exemplaren erschienen. Durch die staatliche Unterstützung und die Vernetzung mit Berliner Institutionen wie dem DAAD und der Akademie der Künste konnten oft Musiker aus der ganzen Welt eingeladen werden. Zahlreiche Konzerte waren Eintritt frei, wie z.B. von 1970 bis 1995 mehrfach im Jahr im Rathaus Charlottenburg.
FMP schaffte es auch, Jazz-Legenden wie Cecil Taylor nach Berlin zu holen. Er gab zwei Monate lang in Berlin Konzerte, die FMP nahm dabei auf und veröffentlichte 1989 eine Box mit elf CDs, die bis heute als Standard für solche Vorhaben gilt.
Auch die Unterstützung der Akademie der Künste war entscheidend. Besonders wichtig war Nele Hertling, die damals für Tanz und Musik in der Akademie verantwortlich war und 25 Jahre lang die Konzerte von FMP in der Akademie am Hanseatenweg betreute. Als Berlin 1988 Kulturhauptstadt war, stellte sie ein experimentelles Programm zusammen und ermöglichte so das erwähnte Cecil Taylor-Festival.
Was bedeutet der Begriff „Underground" im Bezug zu FMP?
Underground bezeichnet hier eher die kulturelle Leistung außerhalb eines kommerziellen Betriebs. Es ging um die Frage, wie man sich organisiert, um kreativ überleben zu können, ohne sich musikalisch verbiegen zu müssen, um dem Massengeschmack zu entsprechen. Die Platten und Konzerte von FMP liebt man oder man hasst sie. Manche empfinden sie nur als Krach, andere sehen oder hören darin eine experimentelle Musik, die bis hin zu Komponisten wie Bernd Alois Zimmermann führt, der mit FMP-Musikern bei Uraufführungen wie seiner Oper Die Soldaten zusammengearbeitet hat. Die Medien und die Musikkritiker hatten nach den ersten Auftritten von FMP Ende der 1960er Jahre schnell begriffen, dass diese Musik einmalig und etwas Außergewöhnliches war.
Das Interview führte Alexandra Saheb.
Markus Müller hat die Ausstellung „Free Music Production / FMP: The Living Music" kuratiert und zusammen mit Louis Rastig und Sergej Newski das dazugehörige Musikprogramm zusammengestellt. Am 6.4. und 7.4.2018 werden die FMP-Gründungsväter Peter Brötzmann (Holzblasinstrumente) und Alexander von Schlippenbach (Klavier) in bewährten und ganz neuen Kombinationen in der Akademie der Künste am Hanseatenweg auf der Bühne stehen.