17.7.2019, 14 Uhr
Das Archiv der Berliner Schaubühne ist vollständig verzeichnet
Mit einem Sprung begann die Geschichte der Berliner Schaubühne; er ziert das Programmheft der ersten Inszenierung, die in Kreuzberg, unweit der eben erst errichteten Mauer, auf die Bühne des neu gegründeten Theaters kam. Premiere war am 21. September 1962. Was folgte, ist in theaterinteressierten Kreisen bestens bekannt: Aus dem waghalsigen Unterfangen einer Handvoll enthusiastischer Studentinnen und Studenten der Theaterwissenschaft wurde eines der wichtigsten und bekanntesten europäischen Schauspielhäuser. Das gilt in besonderem Maße für die 1970er und 1980er Jahre, in denen die Schaubühne zunächst am Stammsitz am Halleschen Ufer, seit 1981 am neuen Standort am Lehniner Platz mit Inszenierungen für Furore sorgte, die Eingang in die europäische Theatergeschichte gefunden haben – mit ihnen die Beteiligten, von denen hier stellvertretend Jutta Lampe, Edith Clever und Bruno Ganz, Peter Stein, Klaus Michael Grüber und Luc Bondy, Robert Wilson, Botho Strauß und Dieter Sturm genannt seien.
Im Jahr 2012, zum 50-jährigen Bestehen der Schaubühne, hat Jürgen Schitthelm, Mitbegründer und Direktor des Hauses, das Archiv der Schaubühne an die Akademie der Künste übergeben, zunächst zumindest jenen Teil, der bis zur Jahrtausendwende und damit bis zu jenem Neuanfang reicht, der durch die Berufung einer neuen künstlerischen Leitung (von der heute allein noch Thomas Ostermeier amtiert) markiert war. Und weil seit dem Beginn der „Ära Stein“ im Jahr 1970 systematisch alles aufgehoben und archiviert wurde, was irgend relevant erschien, haben sich Mengen angesammelt, die das Archiv der Schaubühne zu einem der größten Bestände des Archivs der Akademie der Künste werden lässt. Es enthält Materialien, die über die Arbeitsweise des Theaters präzise Auskunft geben: Unterlagen aus der Dramaturgie, Textfassungen, Regie-, Inspizienten- und Soufflierbücher, teils aufwendig gestaltet wie das Regiebuch einer Inszenierung des Prinz Friedrich von Homburg von 1972, Programmhefte und Kritiken sowie eine Fülle an Proben- und Szenenfotos, mit deren Hilfe sich viele Inszenierungen bis ins Detail nachvollziehen lassen – was sich anhand der gut dreißig Mitschnitte von Aufführungen leicht überprüfen lässt. Auch manch Unerwartetes findet sich in dem klimatisierten Magazin, in dem die Unterlagen aufbewahrt werden, darunter Werbematerialien und Titelmeldungen an die Gema, aber auch kleine Schätze wie Skizzen und Entwürfe aus der Feder von Robert Wilson.
2019, sieben Jahre nach der Übernahme, kann die Akademie vermelden, dass die Unterlagen der Schaubühne sämtlich in der Archivdatenbank verzeichnet und recherchierbar sind, und das von jedem Ort der Welt aus. Und mit welchem Motiv auch immer, machen Nutzerinnen und Nutzer aus aller Welt schon jetzt von der Möglichkeit Gebrauch, sich über dieses wichtige Kapitel der Theatergeschichte, die zugleich ein nicht minder bedeutendes Stück Zeitgeschichte ist, zu informieren und für unterschiedlichste Zusammenhänge Interessantes herauszusuchen. Das kann eine Seminararbeit ebenso sein wie eine Habilitation, ein Zeitungsartikel ebenso wie ein Buchprojekt, Neugier ebenso wie Liebhaberei. Die einzige Hürde, die vor der Nutzung des Archivs steht, ist der Benutzungsantrag, der beim ersten Besuch im Lesesaal auszufüllen ist.
Noch etwas Geduld brauchen Nutzerinnen und Nutzer, die sich für die sagenumwobenen Protokolle interessieren, die seit 1970 – gut zwanzig Jahre lang – von allen hausinternen Sitzungen und Besprechungen der Schaubühne angefertigt wurden und so aus dem Innenleben des Theaters berichten. Und weil sich die junge Truppe, die sich in Kreuzberg zusammengetan hatte, Mitbestimmung und politische Schulung auf die Fahnen geschrieben hatte, geriet dieses Innenleben nicht weniger hitzig, als es das politische Klima in der umgebenden Gesellschaft war. Wie heftig die Auseinandersetzungen waren, wie grundsätzlich debattiert wurde, wie hoch der politische Anspruch an sich selbst und an andere war, all das ist in den Protokollen haarklein niedergelegt – weshalb sie für die Öffentlichkeit gesperrt sind und unter Verschluss gehalten werden. Die Akademie ist jedoch bemüht, eine Freigabe zu erreichen, um auch dieses Zeitzeugnis für die Nutzung bereitstellen zu können.
Ansprechpartner: Rudolf Mast