29.3.2023, 08 Uhr
Die Legende von Paul und Paula – Einer der schönsten Liebesfilme der DEFA wird 50!
Am 29. März 1973 hatte Die Legende von Paul und Paula Premiere, einer der erfolgreichsten Filme der DDR, der noch heute bei vielen Menschen in lebendiger Erinnerung ist. Dabei war zunächst unklar, ob er überhaupt in die Kinos kommen würde.
Als der Abspann vorbei war und die Lichter im Saal des „Kosmos“, mit 1.000 Plätzen das damals größte Kino in Ost-Berlin, wieder angingen, blieb es zunächst ungewöhnlich still. Schon zuvor, noch während der Film lief, „dachten wir“ so erinnerte sich der Regisseur Heiner Carow später, „wir erfrieren, eine solche Stimmung herrschte im Saal.“ Erst nach einer Weile begannen sich in den letzten Reihen einzelne Hände zum Applaus zu rühren. Schon bald jedoch steigerte sich der Beifall. Immer mehr Menschen standen auf und Bravorufe ertönten. Fast zwanzig Minuten hielt die Begeisterung an. Nur aus den vorderen Reihen kam nach wie vor kein Ton. Dort, auf den Plätzen für geladene Gäste, saßen mehrere hundert aus Ministerien und Behörden abgeordnete SED-Genossen mit dem Auftrag, jegliche Zustimmung zu vermeiden. Nur die Karten für die hinteren Kinoreihen waren in den freien Verkauf gegangen.
Auf dem Weg zur anschließenden Premierenfeier war sich das Filmteam sicher, dass das die letzte Vorstellung gewesen sei. Die Cutterin Evelyn Carow fasste es knapp zusammen: „Morgen ist der Film weg.“ Ihre Befürchtung war nicht unbegründet, denn schon vor der Premiere hatten führende Genossen wie der Gewerkschaftschef Harry Tisch gegen den Film gewettert und sich für sein Verbot eingesetzt. Er war ihnen zu leidenschaftlich, zu frech, zu erotisch. Aber dann passierte das Unerwartete: SED-Chef Erich Honecker entschied persönlich, dass der Film gezeigt werden dürfe.
Dennoch wurde entsprechend den Vorbehalten der anderen Genossen zunächst eine Pressekampagne lanciert: „Recht unausgegoren“ und „konzeptionell nicht überzeugend“ befand das „Neue Deutschland“, und die „Junge Welt“ hielt den Autoren „Verzicht auf geistige Profilierung der Figuren“ und Konzentration „auf den erotischen Erlebnisbereich“ vor. Doch das Publikum ließ sich von den Verrissen nicht beirren. Im Gegenteil, einen DEFA-Film, dessen Verbot in der Luft lag, musste man gesehen haben. Durch Mundpropaganda zusätzlich animiert, strömten die Schaulustigen in die Kinos. Lange Schlangen bildeten sich, wie es sonst nur bei Filmen aus dem Westen der Fall war, und bereits im ersten Jahr hatten mehr als zwei Millionen Menschen den Film gesehen.
Die Romanze einer alleinerziehenden Verkäuferin mit hohem Glücksanspruch (gespielt von Angelica Domröse), die kompromisslos um ihre Liebe kämpft, und eines verheirateten, auf Karriere bedachten Angestellten eines Ministeriums (verkörpert von Winfried Glatzeder), traf den Nerv der Zuschauerinnen und Zuschauer in der DDR. Sie waren vom unbedingten Lebensanspruch der Heldin fasziniert und erkannten sich in ihren alltäglichen Problemen und Sehnsüchten wieder.
Ursprünglich hatte Drehbuchautor Ulrich Plenzdorf die Geschichte, noch unter dem Titel „Und wenn sie nicht gestorben sind“, für Ingrid Reschke geschrieben, eine der ersten Spielfilmregisseurinnen der DEFA. Doch noch während der Arbeit am Drehbuch verunglückte Ingrid Reschke im April 1971 bei einem Autounfall, an dessen Folgen sie kurz darauf starb.
Daraufhin übernahm Heiner Carow das Projekt, der jedoch einen gänzlich anderen stilistischen Ansatz als Reschke wählte. Während dieser eher eine Art dokumentarischer Film über eine Liebe in einer alltäglichen, grauen Wirklichkeit vorgeschwebt hatte, sah Carow in der Geschichte dagegen eine unbedingte Suche nach Individualität und Selbstbestimmung und nach Lust am Leben, was ihn zu poetischen Überhöhungen und geradezu burlesken Szenen anregte. Plenzdorf und Carow überarbeiteten gemeinsam das vorliegende Drehbuch und fanden treffende und ikonische Bilder wie die Eingangsszene, in der ein Altbau gesprengt wird und dahinter moderne Hochhäuser zum Vorschein kommen. Vielleicht eine der Szenen, die Honecker gefallen haben dürften, konnte er doch darin ein treffendes Bild für das von ihm propagierten Wohnungsbauprogramm sehen. Oder wie Paula, blumenbekränzt und in einem mit Blumen geschmückten Bett, Paul empfängt, der sich von einem Kampfgruppeneinsatz fortgestohlen hat. Flower-Power, wie sie auch auf dem von Plenzdorf gestalteten Deckblatt des Drehbuches zu spüren ist. Und schließlich die wohl bekannteste Szene, in der Paul unter dem Beifall der Hausbewohner mit einem Beil die Tür zu Paulas Wohnung einschlägt, damit sie endlich zusammenkommen können, und sie, weinend vor Glück, sein Hemd zerreißt.
Auch die lakonischen Dialoge, der Alltagssprache sehr nahe, trugen zur Identifizierung des Publikums mit den beiden Protagonisten bei: „Wir fragen uns nicht nach allerlei Zeugs. Bloß die Namen, ich heiße Paula.“, sagt Paula vor ihrer ersten gemeinsamen Nacht mit Paul, und: „Wir lassen es dauern, solange es dauert. Wir machen nichts dagegen, nichts dafür.“
Den Erfolg des Films hat auch die Musik befördert. Carow hatte dafür Peter Gotthardt angesprochen, mit dem er schon bei seinen vorherigen Filmen zusammengearbeitet hatte. Auf der Suche nach geeigneten Interpreten hörte Gotthardt zufällig im Radio eine junge, noch weitgehend unbekannte Band namens Puhdys. Die von ihm komponierten Filmsongs „Geh zu ihr“ oder „Wenn ein Mensch lebt“ gehörten dann zu den ersten Hits der Band.
Auch wenn, oder vielleicht gerade weil der Streifen melodramatisch schließlich mit dem Tod der Hauptfigur endet, wurde er zu einem der erfolgreichsten Filme der DDR und ist auch heute noch bei vielen Menschen in lebendiger Erinnerung. Längst ist er selbst eine Legende geworden. Die Erinnerung an den Film wird auch noch auf andere Weise wach gehalten: So heißt der Weg am westlichen Ufer der Rummelsburger Bucht, einem der Drehorte, seit 1998 Paul-und-Paula-Ufer und drei angrenzende Straßen sind nach Ingrid Reschke, Heiner Carow bzw. Ulrich Plenzdorf benannt.
In den Archiven von Heiner Carow und Ulrich Plenzdorf kann online recherchiert werden. Beide Nachlässe stehen der interessierten Öffentlichkeit zur Einsicht zur Verfügung.
Ansprechpartner: Torsten Musial