Neuerwerbung im Bertolt-Brecht-Archiv: Hermann Kasack gewidmeter Erstdruck von Brechts Baal
Im Brecht-Archiv kann von nun an ein aus dem Jahr 1922 stammendes Widmungsexemplar des Brechtschen Theaterstücks Baal eingesehen werden, das handschriftliche Textänderungen beinhaltet.
Das neue Fundstück im Bertolt-Brecht-Archiv, gleichermaßen Widmungsexemplar wie Textzeuge, ist getragen von dem Dreiklang Kasack-Baal-Hauspostille. Hermann Kasack war Brechts Lektor im Gustav Kiepenheuer Verlag, Brechts erstem Verlag. Ihm widmete Brecht 1922 ein Exemplar des bei Kiepenheuer publizierten Erstdrucks von Baal. Und die darin befindliche Textstelle, die eine intensive Überarbeitung durch Brecht und Kasack erfuhr, ist eine Ballade, die Teil der fünf Jahre später erschienenen Hauspostille war.
In der aktuellen Ausgabe des Dreigroschenhefts (2/2010) ist ein Aufsatz der Germanistikstudentin Dorit Abiry abgedruckt, der die Hintergründe zu dem Dreiklang Kasack-Baal-Hauspostille näher beleuchtet (Abiry, D., „Sie müssen Ihre Lyrik herausgeben. Cekasack zahlt wie ein Mäzen.“. Die Entdeckung eines Widmungsexemplars von Brechts Baal und dessen verschlungene Wege zur Hauspostille). Es werden darin unter anderem die Beziehung zwischen Brecht und Kasack diskutiert, die Frage geklärt, auf welchen Umwegen das Widmungsexemplar ins Brecht-Archiv gelangte, die handschriftlichen Zeugnisse erörtert sowie ein umfassender Fassungsvergleich der überarbeiteten Ballade Der Tod im Wald unternommen.
Die freundlichen Widmungsworte Brechts an Kasack geben Dorit Abiry Anlass dazu, über das Verhältnis der beiden jungen Literaten – Kasack war neben der Verlagstätigkeit schon länger Schriftsteller in eigener Sache gewesen – nachzudenken. Die geschäftliche Bekanntschaft zwischen ihnen entwickelte sich bald nach ihrem Kennenlernen zu einer freundschaftlichen. Wenngleich sie sich in literarischen Fragen auf Augenhöhe austauschten, war der noch mittellose Brecht in ökonomischer Hinsicht vom Einfluss des im Literaturbetrieb gut vernetzten Kasack abhängig. Brecht verarbeitete seine Bittsteller-Haltung parodistisch, indem er im Erstdruck des Baal eine Figur zum gleichfalls mittellosen Titelhelden sagen lässt: „Sie müssen Ihre Lyrik herausgeben. Cekasack zahlt wie ein Mäzen“. Kasacks Unterstützung äußerte sich nicht direkt fiskalisch, dagegen aber beispielsweise durch eine außergewöhnliche Teilhabe an Brechts Schreibprozessen. Brechts und Kasacks gemeinsame Korrekturen des Gedichts Der Tod im Wald, die das Baal-Widmungsexemplar enthält, sind ein anschauliches Beispiel dieser Zusammenarbeit, die in Bezug auf die Hauspostille bislang lediglich in Briefen dokumentiert war.
Im Anschluss an ihre Überlegungen zum Verhältnis zwischen Brecht und Kasack prüft Dorit Abiry die Bedeutung der im Widmungsexemplar befindlichen Änderungen am Gedicht Der Tod im Wald. Vieles spricht dafür, dass sie eine zentrale Rolle in der Entwicklungsgeschichte der Ballade spielen, da sie die ersten Schritte hin zu einer neuen, stark veränderten Gedichtfassung darstellen, die für die Hauspostille vorgesehen war und dafür an das Gesamtkonzept der Gedichtsammlung angepasst werden sollte. Der markanteste Eingriff bestand in der Zugabe amerikanisch-exotischer Textelemente, wie den Namen „Missisippi“ und „Hathoury-Wald“. In ihrem Aufsatz skizziert Dorit Abiry auch die weitere Entwicklung der Ballade, bzw. ihrer zwei Varianten im Baal und in der Hauspostille, und zeigt dabei, dass Brechts und Kasacks Änderungen aus dem Jahr 1922 noch bis in Brechts Todesjahr 1956 Gegenstand erneuter Überarbeitungen waren.
Das gut erhaltene, schön in blass-lila Leinen gebundene Büchlein lädt also dazu ein, über Brechts frühe Jahre, seine Beziehung zu Hermann Kasack wie auch dem Gustav Kiepenheuer Verlag, über den Baal und die Hauspostille und über Brechts Methoden des kollektiven Schreibens sowie der charakteristischen Selbstüberarbeitung nachzudenken.
(Stand 04.05.2010)
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