Neues vom Sammelschwerpunkt Exil
Der Sammelschwerpunkt Exil - Ausgangspunkt der nach 1945 in der Ost- und Westakademie neugegründeten Personenarchive - gilt gemeinhin als weitgehend abgeschlossen. Zu unrecht, wie die jüngsten Erwerbungen des Archivs der Akademie der Künste zeigen, die insgesamt die bedeutendsten Bestände zur Künstleremigration während des Nationalsozialismus betreut. So erwarb das Akademiearchiv 2009 den schriftlichen Nachlaß des Dadaisten Erwin Blumenfeld (1897 – 1969), der in den USA als Modefotograf bekannt geworden war. Unter den von seinem Sohn aus London übernommenen Materialien befinden sich auch ein Tagebuchfragment aus dem Jahr 1914 und das Manuskript einer Autobiographie. Eine Autobiographie enthält auch der Nachlaß des Bildhauers Benno Elkan (1877 – 1960), dessen Hauptwerk, der große siebenarmige Leuchter vor der Knesset, das Exilland Großbritannien als offizielles Geschenk an den Staat Israel übergeben hatte. Sein Tagebuch endet in den zwanziger Jahren mit der Einweihung eines Kriegerdenkmals in Dortmund, das schon wegen der Inschrift „Den Opfern“, aber auch weil Elkan Jude war, von den Nationalsozialisten abgetragen wurde. Der Bestand selbst kam von den Enkeln aus den USA. Beide Archive werden 2010 mit einer Veranstaltung eröffnet.
Die Schauspielerin, Dramaturgin und Schriftstellerin Lucy von Jacobi (1887 – 1956) gehört zu den Frauen, die das kulturelle Leben in Deutschland vor 1933 wesentlich geprägt haben, bis sie im Nationalsozialismus durch Arbeitsverbot und Vertreibung heimatlos und später aus dem kulturellen Gedächtnis gelöscht wurde. Auch war sie eine der Vorreiterinnen weiblicher Berufstätigkeit und Emanzipation. Ihr Nachlaß enthält neben Manuskripten, Tagebüchern und Fotos auch Briefe u. a. von Gründgens, Jacobsohn, Mühsam, Schnitzler, Wolfenstein und Arnold Zweig. Hierüber wurde ein Vertrag mit der Kunsthistorikerin und Publizistin Irene Below geschlossen, die den Bestand in einem Antiquariat in Italien erworben hatte, wohin Lucy von Jacobi emigriert war.
In die Niederlande war 1936 der Musikwissenschaftler und späteres Mitglied der Akademie der Künste der DDR Eberhard Rebling (1911 – 2008) emigriert. Im gleichen Jahr erschien das gemeinsam mit Leo Balet verfasste Standardwerk „Die Verbürgerlichung der Kunst, Literatur und Musik im 18. Jahrhundert.“ Rebling ging 1944, nachdem in seinem Haus versteckte Juden entdeckt wurden, in den Untergrund. Sein großer Nachlaß beinhaltet auch Dokumente zur Emigration.
Die von Wolfgang Glück übernommene Hanns-Eisler-Sammlung enthält nicht nur Notenautographen aus dem Exil und Stimmenmaterial zu den Filmmusiken von „The Forgotten Village“ und „A Child Went Forth“, sondern auch das Originaltyposkript mit handschriftlichen Änderungen von Adorno und Eislers „Komposition für den Film“, das beide gemeinsam im Exil erarbeitet hatten und das 1947 in den USA erschien. Das Musikarchiv legte im vergangenen Jahr im Wolke-Verlag eine aufgrund seiner neuen Quellen erweiterte Ausgabe der Autobiographie des Pianisten Artur Schnabel (1882 – 1951) „Aus dir wird nie ein Pianist“ in deutscher und englischer Ausgabe vor. Schnabel hatte nach 1933 deutschen Boden nicht mehr betreten.
Ein anderer Exilbezug liegt einem bisher unbekannten Tagebuch des Regisseurs und Akademiemitglieds Heinz Hilpert (1890 – 1967) zugrunde. Als Intendant des Deutschen Theaters hatte er im Sommer 1943 seiner damaligen Geliebten und späteren Ehefrau Annelies Heuser die Flucht in die Schweiz ermöglicht. Nachdem er sie Sommer 1944 ein letztes Mal in Zürich gesehen hatte, schrieb er ein an sie gerichtetes intensives Liebestagebuch; die Ereignisse des letzten Kriegsjahrs in Berlin bilden den Hintergrund dieses sog. Nuschka-Tagebuchs.
Wiederum einen anderen Exilbezug haben die über 1000 Briefe, die der Gründer der Freien Bühne und Intendant des Deutschen Theaters Otto Brahm (1856 – 1912) von 1897 bis zu seinem Tod 1912 an seine Geliebte Clara Jonas geschrieben hatte. Mit der Familie Jonas gelangte dieses herausragende Dokument zur Theatergeschichte, in dem Brahm vom Theateralltag, seiner Inszenierungstätigkeit, Besuchen anderer Theater und seinen Besuchen bei Hauptmann, Schnitzler und Hofmannsthal berichtet, ins amerikanische Exil. Aus Seattle konnten sie mit Unterstützung des Stifterverbands der deutschen Industrie und der Deutschen Forschungsgemeinschaft von der dritten Generation nach Brahm und Jonas erworben werden.
Neben den Archiveröffnungen bringt die Akademie ihre Exilbestände auch auf andere Weise an die Öffentlichkeit: Die Nachlässe des Fotomonteurs John Heartfield, der Bildhauer Theo Balden, René Graetz und Heinz Worner sowie der Graphiker Erich A. Bischof und Kurt Lade enthalten umfangreiches Material aus ihrer kulturpolitischen Arbeit für den 1938 in London gegründeten Freien deutschen Kulturbund.
Diese werden zum ersten Mal vom 2.2. bis 9.5.2010 in der Vitrinenpräsentation „Archivfenster: Free German League of Culture - Bildende Künstler im englischen Exil (1938 - 1946)“ am Pariser Platz 4 gezeigt.
Schließlich stellt die seit 24. Januar 2010 eröffnete Ausstellung „George Grosz. Korrekt und anarchisch“, das umfangreiche Archiv, Zeichnungen und Skizzenbücher des Künstlers vor, der unser Bild der Weimarer Republik wesentlich geprägt hat und der vorausschauend bereits 1932 nach New York ging. Es wurde in den neunziger Jahren von dessen Sohn Peter aus Princeton erworben. Auch Bestände aus anderen Personenarchiven, insbesondere Grosz’ collagierte Karten aus dem Exil an Otto Schmalhausen, sind gleichfalls in diese Ausstellung eingegangen.
Wolfgang Trautwein
(Stand 01.02.2010)
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