Dieter Oesterlen (1911-1994)

Dieter Oesterlen (1911-1994) zählt zu den bedeutendsten Architekten der Nachkriegsepoche in Deutschland. Als einer der Begründer der Braunschweiger Schule“ ist er vor allem durch den besonderen Umgang mit im Krieg zerstörten Baudenkmalen bekannt geworden.

Er ergänzte, überformte und „modernisierte“ Kirchen, Schloßbauten etc. und zeigte so Wege jenseits der „tabula rasa“ oder einer vermeintlich wahrhaftigen Rekonstruktion. Dabei war er dem Ziel einer Verbindung von traditioneller Form und der moderner Nutzung zutiefst verpflichtet.

Diese Überzeugung bezeugen auch seine Kirchenneubauten. Mit der Christuskirche in Bochum (1957-59) oder der Jesus-Christuskirche in Sennestadt (1962-66) schuf er eine Verbindung von expressionistisch-kristallinen Formen und traditionellen Strukturen, die zu beeindruckenden modernen sakralen Räumen führte.

In der ersten Monographie über Dieter Oesterlen, dessen Nachlaß im Baukunstarchiv der Akademie der Künste Berlin liegt, werden zentrale Arbeiten wie der Wiederaufbau der Marktkirche Hannover (1946-51) und der momentan vom Abriß bedrohte Niedersächsische Landtag (1957-62) ausführlich vorgestellt. Ein umfangreicher Bildteil nähert sich auch fotografisch der zeitlosen Qualität der Bauten Oesterlens.

Die Autorin Anne Schmedding lebt als Kunst- und Architekturhistorikerin in Berlin.


Anne Schmedding
Dieter Oesterlen (1911-1994). Tradition und zeitgemäßer Raum
Erschienen in der Reihe „Forschungen zur Nachkriegsmoderne“ des Fachgebiets Kunstgeschichte am Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der Technischen Universität Berlin, Hrsg.: Adrian von Buttlar
372 Seiten mit ca. 390 Abbildungen, davon 24 in Farbe
Format 17 x 24 cm. Hardcover
EUR 58,– (D)
ISBN 978 3 8030 0744 5
Ernst Wasmuth Verlag Tübingen ● Berlin

> Buchvorstellung am 26.4.2012 um 19 Uhr in der Galerie des Architekturmuseums der TU-Berlin. Die Kabinettausstellung können Sie bis zum 10.5., Mo-Do 12-16 Uhr und nach Vereinbarung besuchen.


Geleitwort

Anne Schmeddings Buch kommt zur rechten Zeit:  Die Leistungen Dieter Oesterlens (1911-1994), der nicht nur als einer der zentralen Vertreter der sog. „Braunschweiger Schule“ gilt,    sondern zu den überregional bedeutenden Architekten der Nachkriegsepoche in Deutschland zählt, sind heute kaum noch bekannt. Seine Bauten sind  in  ihrem Bestand gefährdet.  Das zeigt beispielhaft  die jüngste Debatte um den drohenden Abriss des Niedersächsischen Landtages in Hannover (1957-1962), obwohl gerade dieses prominente Werk wie kein anderes von einem innovativen Umgang mit  Geschichte und  Tradition im  Geiste der Moderne kündet, der eine bemerkenswerte Alternative sowohl zur tabula rasa rücksichtsloser Erneuerung als auch  zu nostalgischen Rekonstruktionen verlorener Baudenkmale  bietet:  Oesterlen  ist mit dem Landtagsflügel an der Leine eine  ästhetisch kontrastierende Analogiebildung in Form einer Ergänzung des klassizistischen Schlossfragments von Friedrich Laves gelungen, das alle die meisten der anderen Wettbewerber seinerzeit beseitigen wollten. Im Erhalten, Überformen und Ergänzen des Alten und Zerstörten zu einem neuen, der Gegenwart angehörenden Ganzen lag und liegt – gerade in diesem Fall - ein lesbares Bekenntnis zur Demokratie als Nachfolgerin des fürstlichen Souveräns und zur Geschichte als Ausgangspunkt weiterführender Entwicklungen.  „Gebundener Kontrast“ heißt der Schlüsselbegriff Oesterlens, unter den  Schmedding dieses vielleicht wichtigste Kapitel im Oeuvre des Architekten, seine architektonische Auseinandersetzung mit  historischen Bauten und städtebaulichen Situationen, subsumiert.  Wiederaufbauprojekte von Kirchen, darunter die  berühmte Marktkirche in Hannover (1946-1952), demonstrieren Oesterlens Willen, das Verlorene  zwar als Erbe und Erinnerung zu bewahren, das Bewahrte jedoch weiter zu denken und in einen „zeitgemäßen Raum“ zu überführen. Zeitgemäße  Räume im Sinne sakraler Gesamtkunstwerke sollten auch seine Kirchenneubauten der 1950er und 1960er Jahre mit ihren an den Expressionismus anschließenden kristallinen Strukturen formulieren – ein zweiter Schwerpunkt seines Schaffens.
Eingebettet ist die Werkentwicklung des erfolgreichen Entwurfslehrers, der eine beachtliche Zahl von Nachkriegsarchitekten zwischen Tradition und Moderne schulte, in eine generationentypische Karriere, die mit der Prägung durch Paul Schmitthenner, Heinrich Tessenow und Hans Poelzig ansetzte, die ersten Praxiserfahrungen im Nationalsozialismus sammelte, um schließlich – nicht zuletzt im Schulterschluss mit tonangebenden Stadtplanern wie Rudolf Hillebrecht in Hannover – eine Fülle von Bauaufgaben aller Art im sich rasch wandelnden modernen Habitus der jungen Bundesrepublik zu realisieren. Dass es Anne Schmedding mit kritischem Abstand gelingt, die vorliegende Architektenmonographie klar zu gewichten und auf die beiden für das Epochenbild wesentlichen Grundbegriffe zu konzentrieren, macht sie  zu einem grundsätzlichen Beitrag in unserer Reihe „Forschungen zur Architektur der Nachkriegsmoderne“, der zum vertieften  Verständnis und zur Neubewertung der Werke und Ideen führt.

Prof. Dr. Adrian von Buttlar

(Stand 10.02.2012)




Anne Schmedding Dieter Oesterlen (1911-1994). Tradition und zeitgemäßer Raum. TU Berlin, ISBN 978 3 8030 0744 5, Ernst Wasmuth Verlag Tübingen


Dieter Oesterlen, Christuskirche Bochum, 1957-59, Foto: Alain Roux


Dieter Oesterlen, Niedersächsischer Landtag, Parlamentssaal, 1957-62, Foto: Alain Roux


Dieter Oesterlen, Jesus-Christuskirche Bielefeld-Sennestadt, 1962-66, Foto: Alain Roux