Kultur:Stadt
Musik in der Wolke
19 Uhr Vortrag
Gernot Böhme
Klang-Atmosphären in Stadt und Architektur
Der Vortrag erläutert zunächst den Begriff der Atmosphäre allgemein und den der akustischen Atmosphäre im Besonderen. Die Entdeckung der akustischen Atmosphären hat ihren Ursprung im Projekt Soundscapes. Von deren Pionieren sind auch zum ersten Mal akustische Stadtatmosphären dokumentiert worden. Seither gibt es eine Bewegung, die akustischen Atmosphären durch ein neues Hören zu würdigen und durch Klangkunst und Sound-Design auch positiv zu gestalten. Die Thesen werden an Hand von Klangbeispielen erläutert.
Gespräch
Peter Ablinger, Gernot Böhme, Matthias Sauerbruch
Moderation: Raoul Mörchen
Peter Ablinger
1959 in Schwanenstadt/Österreich geboren, zunächst Grafik-Studium in Linz, später Jazz-Klavier und Komposition in Graz bzw. Wien. In Berlin, wo er seit 1982 lebt, leitete er verschiedene Festivals, darunter die Insel Musik, unterrichtete, gründete 1988 das Ensemble Zwischentöne und war Mitbegründer des Verlags ZEITVERTRIEB WIEN BERLIN. Einladungen zu Gastprofessuren, Studienaufenthalten und Vorträgen, Aufführungen bei wichtigen Festivals zeitgenössischer Musik wie Wien Modern, Donaueschinger Musiktage, Holland Festival Amsterdam, Biennale in Venedig, Carnegie Hall New York. Ausgezeichnet u.a. mit dem Preis der österreichischen Gesellschaft für elektronische Musik, Andrzej-Dobrowolski-Kompositionspreis, Deutscher Klangkunstpreis.
Gernot Böhme
Studium der Mathematik, Physik, Philosophie in Göttingen und Hamburg, Promotion Hamburg 1965, Habilitation München 1972, Wissenschaftlicher Assistent an den Universitäten Hamburg und Heidelberg 1965-1969, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt, Starnberg 1970-1977, 1977-2002 Professor für Philosophie an der TU Darmstadt, 1997-2001 Sprecher des Graduiertenkollegs Technisierung und Gesellschaft. Seit 2005 Direktor des Instituts für Praxis der Philosophie (IPPh), Darmstadt, 2003 Denkbar-Preis für obliques Denken. Publikationen zum Thema Atmosphäre u.a.: Atmosphäre. Essays zur Neuen Ästhetik, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1995; Architektur und Atmosphäre, Wilhelm Fink Verlag, München 2006.
Matthias Sauerbruch
Geboren 1955 in Konstanz. Er studierte Architektur an der Hochschule der Künste Berlin sowie an der
Architectural Association in London. 1989 gründete er gemeinsam mit Louisa Hutton das Büro Sauerbruch Hutton in London. Ihr vielfach international ausgezeichnetes Büro hat seit 1993 seinen Hauptsitz in Berlin. Neben seiner Tätigkeit als Architekt lehrt er an verschiedenen Hochschulen. 1985-1990 war er Unit Master an der Architectural Association, 1995-2001 Professor an der Technischen Universität Berlin, 2001-2007 Professor an der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Seit 2006 ist er Visiting Critic an der Harvard Graduate School of Design in Cambridge, MA, und seit 2012 Gastprofessor an der Universität der Künste Berlin. Er ist Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen DGNB, gehört dem Baukollegium Zürich sowie dem Kuratorium der Stiftung Bauhaus Dessau an. Er ist Fellow am Urban Institute for Urban Design, New York, und Mitglied der Akademie der Künste, Berlin. Seit 2013 ist er Honorar Fellow des American Institute of Architects.
Raoul Mörchen
geboren 1967, Studium der Musikwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte. Arbeitet als Musikkritiker für Tageszeitungen und die Fachpresse, ab 1990 auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Seit 2009 Moderator des WDR-Kulturmagazins „Mosaik“. Autor, Herausgeber und Übersetzer verschiedener Fachpublikationen. Mitverantwortlich für Planung und Durchführung der Darmstädter Ferienkurse 2006 und 2008.
21 Uhr Konzert
La Ville/Die Stadt. Metropolis Paris/Berlin. (1985/1927)
Konzert.Film.Video von Pierre Henry/Walter Ruttmann
Diese Klangkomposition ist wie ein akustischer Film ohne Bilder. Und darüber hinaus: eine Sinfonie der Klänge, Geräusche und Stimmen. Ihre Struktur ist ‘dramatisch’ - eine Geschichte ohne Text, ein poetischer Spannungszustand, bunt und voller sprachlicher Eindrücke, deren Struktur gleichzeitig ‘geographisch’ ist, eine musikalische Reise. Diese Sinfonie basiert auf dem Thema ‘Die Stadt’. Sie ist auch eine Hommage an den Stummfilm Berlin. Die Sinfonie der Großstadt des deutschen Cineasten Walter Ruttmann”. (Pierre Henry)
Vielleicht weil Paris bis in unsere Tage als die sprichwörtliche Metropole gilt, hat Pierre Henry sein Hörstück lapidar 'La Ville/Die Stadt' genannt. Paris ist die Stadt schlechthin. Wenn das Thema seiner Komposition 'La Ville' heißt, so will er nicht eine akustische Dokumentation der Stadt geben, er will sozusagen die Stadt neu erschaffen und aufbauen im Medium seiner musikalischen Verfahrensweise. Das Material Henrys stammt aus der aktuellen Hörerfahrung, doch er läßt ihm nicht seine sperrige Eigengesetzlichkeit, sondern gliedert es übersichtlich und erfüllt es rhythmisch mit der Spannung, die sich von seinem Gegenstand auf die akustische Realisation überträgt. (Helmut Heißenbüttel)
Pierre Henry hat diesen klassischen Stummfilm über das alte Berlin mit seiner Klangkomposition über Paris zu dem HörSpielFilm La Ville/Die Stadt. Metropolis Paris/Berlin ’synchronisiert’. Das audiovisuelle Werk wurde 1985 auf dem WDR-Festival 1. Acustica International in Köln von Pierre Henry uraufgeführt und seitdem auf zahlreichen internationalen Festivals vorgestellt.
This soundcomposition is like an acoustic film without images. But beyond this: A symphony of sounds, noises and voices. Their structure is 'dramatic' - a story without text, a kind of a poetic state of suspense, coloured and full of linguistic impressions, whose structure is simultaneously 'geographic', a musical journey. This symphony is based on the theme 'The City'. Moreover it is an hommage to the silent movie Berlin. The Symphony of a big City by the German cineast Walter Ruttmann. (Pierre Henry)
Perhaps it is because Paris is still regarded as the proverbial metropolis that the composer Pierre Henry has called his radio composition quite succinctly La Ville. Paris is the city per se. Even though the subject of his composition is La Ville, meaning Paris, he does not want to produce an acoustic documentation of the city, but rather recreate and rebuild it, using the medium of his own musical techniques. Henry's material stems from a live audio experience. However he does not leave it with its own unwieldly autonomy, but fashions it clearly, rhythmically adding tension to the subject matter, which is then reflected in its acoustic realization.
(Helmut Heißenbüttel)
Pierre Henry “synchronised” this silent film classic, portraying the Berlin of the past, with his sound composition on Paris to make the “HörSpielFilm” La Ville/Die Stadt: Metropolis Paris/Berlin. The resulting audio-visual work was premiered by Henry in Cologne in September, 1985 at the WDR Festival 1st Acustica International and has since been presented at numerous international festivals.
Walter Ruttmann
Geboren 1897 in Frankfurt am Main. Studiert zunächst Architektur in Zürich, dann Malerei in München. In ›Berlin. Die Sinfonie der Großstadt‹ wendet er 1927 die Prinzipien seiner abstrakten Studien und der Filmmontage auf die Arbeit mit Real-Photographien an, die ihm die Stadt Berlin liefert. Danach ist er mit Tonexperimenten beschäftigt und kann schließlich im Auftrag von Hapag-Lloyd ›Melodie der Welt‹ machen, der als erster deutscher abendfüllender Tonfilm gelten kann. Ruttmann emigriert nicht. In Deutschland ist er beteiligt an den Arbeiten zum Reichsparteitagsfilm, stellt aus nicht geklärten Gründen aber seine Mitarbeit ein. Ab 1934 macht er für die UFA als angestellter Regisseur Kultur-, Industrie-, Werbe- und Propagandafilme. Am 15.7.1941 stirbt er in Berlin.
Pierre Henry
Geboren 1927 in Paris. Pionier der elektronischen Musik und Musique Concrète. Klassische Musikausbildung in Klavier und Schlagzeug, Komposition bei Olivier Messiaen. 1949-1958 Mitwirkung an der Entwicklung der elektroakustischen Musik im von Pierre Schaeffer initiierten Club d'Essai-Studio des RTF. Gemeinsam schrieben sie Symphonie pour un homme seul (1949-1950), die als Gründungsstück der Musique Concrète gilt. 1960 Mitbegründer des ersten privaten elektronischen Studios Frankreichs. Mit Musique Concréte-Kompositionen für Bühne, kommerziellen Film, Theater und Ballett, in Verbindung mit Stimme, Instrumenten oder rein elektronischen Geräuschen betrat Henry auf vielen Gebieten Neuland. Er experimentierte mit Rock-Musik und Licht-Effekten, beeinflusste Neue Musik und Techno. Interieur/Exterieur (1997) gilt ihm als die Summe seines Lebenswerks.
Thomas Köner
RÉDUCTION TERRITORIALE (2013)
Klangtopographie oder das Kartographieren von Orten unter Verwendung von Klangzeichen anstelle von visuellen Linien, ist ein zentrales Thema in den Werken von Thomas Köner.
Seine CD-Alben, von Permafrost (1992) zu Novaya Zemlya (2012), dokumentieren die Kontinuität dieser Arbeit. In den Jahren 2008 und 2009 entwickelte er die 24teilige Serie „Klangbrief aus ...“, in der er urbane Klangsituationen zu Kompositionen verdichtet.
In der Begegnung mit Orten, einer „Stadt“, spielen für Köner sogenannte Fieldrecordings nur eine Nebenrolle. Seine Partituren sind sehr persönliche Koordinatensysteme, in denen die Grenzen der Wahrnehmung, die Unschärfen der Erinnerung und ein schwindendes Raumbewusstsein das Tongeschehen definieren.
RÉDUCTION TERRITORIALE erscheint als eine stagnierende Bewegung durch das Stadtgebiet eines namenlosen Ortes, einer Klangwelt, in der Schatten von Erinnerungen und dunkle Vorahnungen im Fadenkreuz des Hörmoments zusammenfließen.
Thomas Köner studierte elektronische Musik am CEM-Studio in Arnheim und anschließend am Konservatorium in Dortmund. Früh interessierte er sich für die Schnittstelle zwischen Bild und Ton, komponierte Filmmusik und trat in Liveperformances auf. Thomas Köner eröffnet durch seine Bild- und Tonassemblagen ganz eigene Erfahrungsräume. Seine Arbeiten wurden u.a. sowohl bei der Ars Electronica in Linz ('Golden Nica') ausgezeichnet wie auch bei der Transmediale in Berlin ('transmediale award'). Aktuelle CD: Novaya Zemlya (Touch, 2012)
Robert Lippok
Plug_In_City / Capsule 01 – 10 (2013)
Bereits in seinem Album redsuperstructure (raster-noton 2011) übersetzte Robert Lippok urbane Utopien der 1960er und 1970er Jahre von Gruppen wie Archigram, Superstudio oder Ant Farm in Klang und Komposition bzw. Skizzen und Modelle.
Bei der Plug-in-City, einer Idee der englischen Architektengruppe Archigram (1960-1974), werden einzelne Wohnkapseln an ein grossformatiges Trägersystem angeschlossen. Ziel ist nicht eine statische Architektur, sondern ein sich ständig verändernder urbaner Raum.
In Plug_In_City / Capsule 01 - 10 greift Lippok dieses Konzept auf und entwickelt aus zehn einzelnen Modulen eine Komposition, die sich über ihren Verlauf immer wieder neu strukturiert.
Robert Lippok wurde 1966 in Berlin geboren. Er erhielt eine Ausbildung am Theater und studierte Bühnenbild an der Kunsthochschule Weißensee. Seit seiner Jugend ist er in verschiedenen Formationen als Musiker und als bildender Künstler tätig. 1983 erfolgt in Ostberlin die Gründung von »Ornament und Verbrechen«. Zusammen mit Ronald Lippok und Stefan Schneider aus Düsseldorf gründet er in den 90er Jahren die Gruppe »to rococo rot«. Er arbeitet an diversen musikalischen Projekten und tritt mit unterschiedlichen Musikern, Komponisten, Interpreten und Künstlern auf. Als bildender Künstler schafft Lippok immer wieder Arbeiten, die sich konkret mit architektonischen Räumen auseinandersetzen. Es entstehen Kompositionen für Hörspiel, Theater und Sound Installationen weltweit.
Konzert in Zusammenarbeit mit DISK e.V. / ctm-festival berlin, Institut für Musik und Akustik l ZKM und dem WDR