Marcel Odenbach „Selbstverteidigung“ für Alfred Apfel
Marcel Odenbach setzt sowohl bei seinen Bildcollagen als auch bei seinen Videoarbeiten Techniken wie Schnitt und Montage bewusst ein. Er splittet die Projektionsflächen, argumentiert dialektisch mit Bild und Text und überlagert historische Ereignisse und persönliche Erinnerungen. In der Ausstellung „Selbstverteidigung“, dem jüdischen Strafverteidiger und Autor Alfred Apfel (1882-1941) gewidmet, „realisierte Odenbach die Arbeit Jünglinge unter sich. Der Titel spielt darauf an, dass sowohl Friedrich II., der im Schloss als Kronprinz seine glücklichste Zeit verbrachte, wie später sein Bruder Prinz Heinrich eine Männerwelt um sich scharten“, betont Sebastian Preuss in seiner Einführung am 7. Mai. „…Zu sehen in Odenbachs Papierarbeit ist ein Teil des klassizistischen Schlafzimmers von Heinrich. In den Pilastern, Säulen und Architekturfriesen spielt sich mit Texten (Fontane, Kattes Abschiedsbrief) und Bildern (vor allem Menzel) das Drama von Friedrichs Flucht vor dem tyrannischen Vater (dem Soldatenkönig) im Jahr 1730 ab. Das Ende dieser für Friedrich so traumatischen Episode war die Hinrichtung seines Jugendfreundes Katte. Ein übler, völlig unnötiger Justizmord, von dem Odenbach in der Collagee mit anderen Textfragmenten zum Justizterror der Nazis führt: nämlich zu Auszügen aus einem Buchs über die NS-Justiz, das der Strafverteidiger Alfred Apfel im französischen Exil schrieb, bevor er 1941 auf der Flucht starb. Odenbach ist um zwei Ecken mit Apfel verwandt und hat intensiven Kontakt mit dessen Nachfahren in den USA.
Wie immer steckt also auch in der Arbeit Jünglinge viel Subjektivität und private Erfahrung. Wer bin ich? Wie stehe ich zu meiner Sexualität? Bin ich schwul? Bin ich Künstler? Wie wehre ich mich gegen meinen Vater? Diese Fragen, die Odenbach bei Friedrich II. nachempfindet, werden auch im Ausstellungstitel „Selbstverteidigung“ aufgegriffen. Und sie führen zurück zu Odenbachs frühesten Werken aus den Jahren ab 1975, von denen wir eine exemplarische Auswahl sehen können.“
Odenbachs vielschichtiges Œuvre umfasst Zeichnungen, Collagen, Texte, Videos und Performances, in die er seine umfangreiche Materialsammlung aus über vier Jahrzehnten einarbeitet. Er ist ein Reisender und ein Spurensucher. Er findet was ihn interessiert in der Presse, in Alltagssituationen, Literatur, Archiven, Magazinen und bei künstlerischen Wegbereitern wie John Heartfield, Daniel Buren, Pop Art Künstlern, u.a. Der Idee des disegno folgend, verarbeitet er diese originalen und kopierten Fundstücke materiell als auch inhaltlich zu komplexen Schnittvorlagen mit hunderten von Einzelmotiven, die Basis und Grundidee seiner Serien, Einzelwerke und Videoprojekte werden. Die Betrachtenden wandeln visuell vom Makro- zum Mikrokosmos, von der statischen Bildcollage zum Bewegtbild – methodologische Verwandtschaften auf vielen Ebenen.
Seit Mitte der 1970er Jahre setzt er sich mit politischem Widerstand und Erinnerungskultur, mit dem Nationalsozialismus und Antisemitismus, der DDR, politischem Extremismus und Gewalt, Rassismus, dem kolonialen Erbe Europas und den Folgen der Kolonialzeit in Afrika, aber auch mit Geschlechter- und Identitätsfragen auseinander. Besonders seine frühen Text- und Konzeptzeichnungen thematisieren sein eigenes Lebensumfeld, Gesellschaftszwänge und seine Identitätssuche als Künstler und Mensch, ohne wirklich Details aus seinem Leben preiszugeben. Mit Selbstironie, Kritik und Melancholie entstehen Werke über alltägliche Dinge, die zu ihm gehören, wie die Kaffeetasse, eine Zitrone, Wurst, Kot, ein Schal oder Zigaretten. Odenbach folgt dabei einer dialogischen Methode, in dem er seine Zeichnungen schriftlich kommentiert: Wenn das so weiter geht, fühle ich mich wie eine ausgequetschte Zitrone oder Dinge, die mir Gedanken ermöglichen. Sein Gespür fürs Detail, für Situationen, für Sprache und Bild ebnen ihm kurze Zeit später einen kritischen Zugang zum Massenmedium Fernsehen, aus dem er seine ersten Videoarbeiten, Performances und Videoinstallationen entwickelt.
In Kooperation mit dem Kurt Tucholsky Literaturmuseum