Pressestimmen

Börsenblatt PLUS, Heft 5, 30.10.2008



Der Tagesspiegel, 29. Oktober 2008

Unsere TOP TEN
So viele Orte, so viel Kunst, da fällt der Überblick schwer. Tipps aus Museen und Galerien

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5. Notation
Für Minimalisten. Die Spur der Schrift in der Kunst klingt sehr theoretisch, ist aber ein faszinierender Einblick in die verschiedenen Zeichensysteme künstlerischer Fantasie.

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Der Tagesspiegel, 25. September 2008

Die Aura der Druckfahne

Wie aus einer Idee ein Kunstwerk wird: Die Ausstellung „Notation" in der Akademie der Künste

VON MICHAEL ZAJONZ

Eine kleine Kiste aus hellem Holz, der Deckel geöffnet, und drin ist - nichts. „Intuition" heißt das Multiple von Joseph Beuys, und das sitzt. Beuys' Kistenwitz ist ganz sicher eine der unscheinbarsten Arbeiten in der mit über 450 Werken von rund hundert Künstlern nicht eben bescheiden bestückten Ausstellung „Notation. Kalkül und Form in den Künsten". Sie findet in der Berliner Akademie der Künste am Hanseatenweg und - mit einer Installation von Christoph Steffner -im Akademiefoyer am Pariser Platz statt.
Beuys' dialektische Kombination von banalem Behältnis und hochmögendem Titel sagt eigentlich alles, was man zu dieser Ausstellung wissen muss: Man sieht nur das, was man weiß. Aber auch: Das Nichtwissen kann, wenn man seinen Gedanken freien Lauf lässt, viel Spaß machen.
Der Künstler Dieter Appelt, der Bildwissenschaftler Hubertus von Amelunxen und der Medienkünstler und Theoretiker Peter Weibel haben diese bemerkenswerte Ausstellung kuratiert. Ihre Themen klingen gedankenschwer: prozessuales künstlerisches Denken, zeitlicher Verlauf sowie die mit beidem verknüpfte Wandelbarkeit von Formen in den Künsten des 20. und 21. Jahrhunderts. Und immer geht es um die Niederschrift der Idee in Partituren, Drehbüchern, Manuskripten, architektonischen Konstruktionszeichnungen.
Gewidmet ist die Koproduktion der Akademie und des Zentrums für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe, die leicht zu einem verkopften Debakel hätte werden können, dem vor drei Jahren verstorbenen Schweizer Kurator und Documenta-Impressario Harald Szeemann. Dass die Ausstellung in guter Szeemannscher Tradition zugleich anspruchsvoll und federleicht wirkt, verdankt sich dem sicheren Gespür der Kuratoren für Qualität. Lange schon hat man die wunderbar weitläufigen Kunst-Wandelhallen des Düttmann-Baus nicht mehr so aufregend bespielt erlebt.
Notation ist ein Begriff aus der Welt der Musik und meint das Aufzeichnen von Tonfolgen in einer Notenschrift ebenso wie das sinnstiftende Zeichensystem selbst. Das Gros der ausgestellten Arbeiten - unabhängig davon, ob es sich um Werke der bildenden Kunst handelt oder um filmische, musikalische, theatralische, tänzerische und literarische Beispiele - schafft spielend den Spagat zwischen dem Repräsentationsballast von Megasystemen und einer oft betörenden Sinnlichkeit jenseits des Abbildhaften.
Bewusst wird darauf verzichtet, zwischen künstlerischen Gattungen oder zwischen Artefakten und Dokumenten zu unterscheiden. „Es geht uns nicht ums absolute Kunstwerk," betont Appelt beim Rundgang, „sondern um die Offenheit von Prozessen." So rückt Serielles, Geschichtetes, zur „Wiederaufführung" Gedachtes in den Blick. Und der Unterschied zwischen Bild, Drehbuch, Partitur, Architekturmodell und Manuskript schrumpft zur Marginalie. John Cage hängt neben Cy Twombly, Walter Benjamins kryptische Farbsignets zu den „Pariser Passagen" werden vis-á-vis von Le Corbusiers Modell des Phillips-Pavillons von 1958 präsentiert, einer der frühesten, gemeinsam mit Edgar Varese und lannis Xenakis konzipierten Multimedia-Architekturen.
Der traditionelle Originalitätsbegriff ist seit Marcel Duchamps' Readymades -eine bedauerliche Leerstelle der Ausstellung - relativiert worden. Und doch wimmelt es nur so von wunderbaren Arbeiten, die sich durchaus in traditionellen Werkbegriffen fassen lassen und vor allem ästhetisch überzeugen. Auch ohne entsprechendes Diskurswissen kann der Besucher viele Entdeckungen machen, wenn er seinen Augen traut. Die Ausstellung gleicht einer riesigen Wundertüte.
Da gibt es zum Beispiel die kleinen enigmatischen Fotografien des Pariser Physiologen Étienne-Jules Marey, entstanden um 1900. Marey fotografierte das Einströmen von Rauch in einen selbstkonstruierten Strömungskanal. Und nähert sich damit einer Idee, die Avantgardekünstler seit Kandinsky umgetrieben hat: unsichtbare Kraftlinien fixieren, ohne ihr Geheimnis zu zerstören.
Partituren, Drehbücher und andere Notate aus nichtbildnerischem Zusammenhang können durchaus eine Aura ausstrahlen. Allen voran die von Marcel Proust korrigierten Druckfahnen der „Recherche" aus der Sammlung Reiner Speck. Proust hatte die Angewohnheit, die vom Verlag Galimard zugesandten Druckfahnen mit Hilfe seiner Haushälterin an die Wand zu pinnen, je ein leeres Blatt links und rechts daneben. Darauf hat er dann weiter geschrieben, als lebendige Textverdichtungsmaschine. Ein uferloses künstlerisches Verfahren.
Aus dem Hang zum Seriellen heraus wird Film zum Leitmedium des 20. Jahrhunderts. Auch hier wartet „Notation" mit großartigen, oft aus den Tiefen des Akademie-Archivs zutage geförderten Schätzen auf. Bert Brecht etwa ließ seine frühen Inszenierungen filmen, mit 16 statt der üblichen 24 Bilder pro Sekunde. So bei „Mann bleibt Mann" von 1931. Als Einzelaufnahmen in ein Regiebuch eingeklebt und vom Meister mit handschriftlichen Anweisungen versehen, sollten Filmbilder das einmal Erarbeitete kodifizieren. Und stellen doch eine Raum-Zeit-Inszenierung eigener Ordnung dar.
Dass Aufzeichnungen für die Ewigkeit wahre Sisyphosarbeiten sind, zeigt ein kleiner Film des großen belgischen Neodadaisten Marcel Broodthaers. In „Departement des Aigles" beschreibt der Künstler mit heiligem Ernst und etwas zu flüssiger Tinte eine Papierrolle. Bis der große Regen kommt.
—Akademie der Künste. Hanseatenweg 10 und Pariser Platz 4, bis 16. 11. Der Katalog kostet in der Ausstellung 39 €, im Buchhandel 45 €.

Berliner Zeitung, 22. September 2008

Der Prozess ist das Ziel

Mit „Notation" begann in der Akademie der Künste ein ehrgeiziges Ausstellungsprojekt

VON INGEBORG RUTHE

Der Mann war Physiologe und hieß Étienne-Jules Marey.Was ihn um 1900 beschäftigte, verblüfft nun, im Jahr 2008. Was wir heute Medienkunst nennen, nahm der Franzose vorweg, als er Skizzen von sich ausdehnenden und tanzenden Körpern in Aquarellfarben und Graphit-Strukturen auf Karton setzte, gar mit Rauch experimentierte. Die Formen fotografierte und filmte er, so wirken sie wie bewegte Körper. Der Wissenschaftler schuf ein Archiv gleichsam medialer Kunstwerke, die er gar nicht beabsichtigt hatte.
Damit beginnt die Ausstellung „Notation" im Haus der Berliner Akademie der Künste. Das ehrgeizige Gemeinschaftsprojekt mit dem Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe untersucht den Zusammenhang von Kalkül und Form in den Künsten seit 1900. Konfuzius' Satz „Der Weg ist das Ziel", könnte Untertitel der Schau sein; was sie aufbietet, ist vom Experimentieren, vom Forschen nach Formen getrieben, nicht von der Vorstellung eines endgültigen Werkes.
Die Moderne hat die geistige Seite der menschlichen Existenz, die immateriellen Phänomene wie Klang, Licht, Bewegung, Raum und Zeit als Forschungsfeld der Künste entdeckt. Dabei passierte etwas Radikales: Die Konzepte selbst wurden, auch wenn so gar nicht geplant, zu eigenständigen Kunstwerken. Um diese Prozesse erstens sichtbar, zweitens auch sinnlich erlebbar, zu machen, setzt die AdK-Schau Objekte aus allen Kunstgattungen von 1900 bis heute in Beziehung: Partituren, Skripte, Bildentwürfe zu Musik, Literatur, Malerei, Skulptur, Tanz, zu Architektur, Fotografie und Film.
Didaktik bleibt bei dieser interdisziplinären Ausstellung draußen, Chronologie ist unwesentlich. Die in Vitrinen, unter Rahmen, als Klangcollagen ausgebreiteten Objekte und ihre rätselhaften Korrespondenzen fordern den Besucher mit all seinen Sinnen. Und die Show trotzt allen Vorurteilen, man habe es gar mit einem Nachschlag zur Documenta 12 und deren verquaster These von der „Migration der Formen" zu tun. Was in den schönen alten AdK-Sälen in strenger Auswahl geboten wird, ist nämlich weder verquast, „verkopft", noch ist es staubtrockene Knäckebrot-Kunst.
Aufschlussreiche, durchaus hochkomplizierte Theorie liefert umso mehr der anspruchsvolle Katalog. Von Theorie verschont dagegen bleibt man beim Beschauen der poetischen Partitur -Zettelchen eines John Cage und beim gleichzeitigen Hören seiner wie außerirdisch wirkenden Kompositionen. Unweit davon werden die furiosen Punkt- und Klecks-Partituren des gerade verstorbenen experimentellen Komponisten Maurizio Kagel zu Bild-Tönen. Und die wie auf der extremen Schräge einer Bühne tanzende Farbskizze einer Choreographie, die Rudolf von Laban 1925 anlegte, scheint Gret Palucca 12 Jahre später bei ihrem Tanz umzusetzen. Leporello-artig gefügte Miniaturfotos werden quasi zur Entsprechung von Labans „Notation".
Das hier fast lakonisch, nie prätentiös In-Beziehung-Gesetzte spiegelt die offenen Strukturen des Klangs, des Lichts, der Bewegung, der Zeit. Es gibt uns Betrachtern einen frappierenden Einblick in die verborgenen Welten unserer Wirklichkeit. Und man kommt so zu einer anderen Lesart künstlerischer Entwürfe, die sonst in den Archiven der Welt, oft in Zettelkästen schlummern - nun auf einmal reden oder klingen: Den ausgestellten Partituren-Skizzen des Neutöners György Ligetis zufolge sind diese Anweisung zum Spiel - als Mittel zur Kommunikation. Ebenso als autonomes Werk.
Als sei eine ganze Bibliothek des Formenvokabulars unserer irdischen Welt am Hanseatenweg gelandet, breitet Allan McCollums massige Installation „The Shapes Projekt" nur 1400 algorithmische Ur-Formen aus. Von denen soll es etwa 31 Milliarden geben. Die minimale Auswahl steht soldatisch in Reih und Glied, gefasst in kleine schwarze Rahmen. Das Zeichen-Reservoire ist Skulptur gewordene Handlungsanweisung, sich daraus zu bedienen, um weitere Formen zu bilden. Umgekehrt erklärt sich der universale Begriff „Notation", der besagt, dass heute alles, was sich ereignet, aufgezeichnet werden kann; als Bild, Text oder Ton. Erfrischend unhierarchisch sind 450 Bild-, Schrift- oder Tonzeugnisse von 100 Künstlern in Szene gesetzt und eingängig, poetisch, bisweilen verstörend und oft erheiternd verbunden. Die feinen Kontakte des Versammelten aus der frühen, klassischen und späten Moderne machen sichtbar und hörbar, wie doch alles irgendwie mit allem zusammenhängt. Und wie sehr, wenn man so will, Kunst aus Kunst kommt.
Da korrespondieren fünf verzinkte Filmspulen von Beuys mit einem rhythmischen Textfragment von Marcel Proust sowie mit einem Filmstill von Peter Kubelka über Film-Form-Ideen des Malers Arnulf Rainer. Die „physischen" Notationen des eingangs genannten Marey treten in Dialog mit experimentellen Aktfilmbildern des Surrealisten Man Ray. Walter Benjamins bunt bekritzelte Kartonstreifen, mit denen er sein Passagenwerk gliederte und ordnete, werden zu fast sakralen Buchzeichen. Seltsam und intensiv ist ihr Dialog mit den sich vielfach spiegelnden, tiefe Blick-Passagen bildenden Fensterbildern des Fotokünstlers Thomas Florschuetz.
Solche Wahlverwandtschaft ließe sich in langer Reihe fortsetzen. Die Ausstellungsmacher - Dieter Appelt, der selbst starke Fotocollagen, darunter „Der blinde Fleck", beisteuert, der Bildtheoretiker Hubertus von Amelunxen und der Medienkünstler Peter Weibel - haben herbeigeschafft, was in der experimentellen Kunst Rang und Namen hat. Da wären: Partituren-Skizzen von Komponisten wie lannis Xenakis und Pierre Boulez im Dialog mit Skripten des Sprachpoeten Carlfriedrich Claus. Wir sehen Dichter-Notate von Robert Walser, Ezra Pound und den Malern Paul Klee, Cy Twombly sowie den Bildhauern Norbert Kricke und Constantin Bracusi. Und ein in wuchtigen Graphitschwärzen gezeichnetes System von Stahlträgern des visionären Architekten Konrad Wachsmann hält Dialog mit den universalistischen Entwürfen seines Berufskollegen Buckminster-Fuller.
Nebenbei ist die Ausstellung eine Hommage. Sie ehrt den Schweizer Ausstellungsmacher Harald Szeemann, diesen „Tüftler und Notatoren vor dem Herren", wie die Berliner Kollegen des früh Verstorbenen ihn nennen. Im Geiste, sagen sie, sei er bei „Notation" ständig dabei.

Akademie der Künste, altes Haus am Hanseatenweg 10. bis 16.11., Di- So 11-20 Uhr. Katalog 39 Euro. Die vom Hauptstadtkulturfonds finanzierte Schau ist im ZKM Karlsruhe vom 14. 2. bis 26.7.2009 zu sehen.


 

(Stand 5.11.2008)