Notation

Notation widmet sich dem vielfältigen Spektrum der künstlerischen Prozesse zwischen Konzept und Werk. Die Ausstellung setzt Arbeiten aus allen Bereichen der Kunst von 1900 bis heute zueinander in Beziehung: Zeichensysteme zu Literatur, Musik, Malerei, Choreografie, Architektur, Fotografie, Film und Medienkunst. Mehr als 450 Positionen von über 100 Künstlern aus internationalen Sammlungen, dem ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe und aus dem Archiv der Akademie der Künste werden gezeigt.
In der Verbindung von wissenschaftlichem Kalkül und künstlerischer Form haben die Künstler des
20. Jahrhunderts immer neue Wirklichkeiten sichtbar gemacht. Morphische Resonanzen, serielle Strukturen und Schallwellen: Die Moderne hat die geistige Seite der Existenz, immaterielle Phänomene, das Ephemere als Forschungsfeld der Künste wieder entdeckt. Dabei wurden das Verhältnis zwischen Konzept, Aufzeichung, Wiederholung und Werk radikal neu bestimmt und die Entwurfsprozesse selbst zu autonomen Kunstwerken. Diese stehen im Zentrum der Ausstellung des Bildtheoretikers Hubertus von Amelunxen, des Künstlers Dieter Appelt sowie des Medienkünstlers Peter Weibel. Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit Angela Lammert, Akademie der Künste, und Bernhard Serexhe, ZKM | Karlsruhe.
Partituren, Notationen, fotografische Serien, Filmexperimente spiegeln die offenen Strukturen des Klangs, des Rauchs, des Lichts, der Bewegung, der Zeit – und ermöglichen dem Betrachter einen ungeahnten Blick auf die verborgenen Welten unserer Wirklichkeit. Die Ausstellung Notation erschließt eine andere Lesart der künstlerischen Entwürfe. John Cage und Étienne-Jules Marey, Walter Benjamin, Edgard Varèse und Iannis Xenakis, Mary Wigman und Robert Walser, Ezra Pound und Marcel Broodthaers, Allan McCollum und Mel Bochner, Antonin Artaud und Pierre Boulez: Die Künstler des 20. Jahrhunderts entwarfen Beziehungsfelder in Notationen, (in den Worten von György Ligeti) als Anweisung zum Spiel, als Mittel zur Kommunikation oder aber als autonome Werke.


Text zur Einführung in die Ausstellung
von Dieter Appelt und Hubertus von Amelunxen

Vor 40 Jahren zeigten John Cage, Alison Knowles und der Zufall eine Ausstellung mit Notationen von 250 Künstlern, um einen Eindruck von der Vielfalt der Möglichkeiten zu vermitteln, Musik und Aktionen zu notieren und jede Notation einem neuen Ursprung zuzuführen. Unter dem Titel »Working Drawings And Other Visible Things On Paper Not Necessarily Meant To Be Viewed As Art« kuratierte Mel Bochner 1966 eine Ausstellung in der School of Visual Arts in New York mit 4 mal 100 Photokopien, präsentiert in 4 Ordnern mit je 100 Klarsichthüllen auf 4 Sockeln. Die Photokopien zeigten Papierarbeiten unterschiedlichster Herkunft, ob Entwürfe zu künstlerischen Arbeiten, geschrieben, gezeichnet, gerechnet, ob Diagramme, Grundrisse oder den Funktionsplan der damals für die School of Visual Arts gerade erworbenen Xerox-Maschine.

Notation und Reproduktion sind seit dem Aufkommen der Medientechnik im 19. Jahrhundert eine enge Verbindung eingegangen. Der Prozess selbst, Kunst zur Darbietung aufzuschreiben, unterliegt wie jeder Kommunikationsverlauf tradierten Formen und unterläuft diese mit der Öffnung anderer Möglichkeitsfelder.

Die Notation verhalte sich zur Improvisation wie das Porträt zum lebendigen Modell, schrieb Ferruccio Busoni 1916 in seinem Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst. Der Vortragende habe die Starrheit der Zeichen wieder aufzulösen und diese in Bewegung zu bringen. Ob solche Bewegung aber wieder in eben jene Zeichen zurückzuführen ist, die sie verlassen hat, ist eine Frage, die an die Bestimmtheit, die relative Bestimmtheit oder aber die Unbestimmtheit des Kunstwerks gestellt wurde und wird.

Diese Bewegung, innerhalb derer das Verhältnis von Entwurf, Aufzeichnung, Wiederholung, Reproduktion und Werk im 20. Jahrhundert in und zwischen den Künsten mit einiger Radikalität neu gefasst wurde, nimmt »Notation. Kalkül und Form in den Künsten« auf. Für alle Künste wird die Frage – denn immer nur sind es Fragen – nach dem offenen Kunstwerk und nach der Zeitlichkeit künstlerischer Übersetzung gestellt, ob in der Musik oder der Malerei, der Architektur oder dem Tanz, der Literatur oder dem experimentellen Film. Die technischen Medien, begonnen mit der Photographie, haben diese Frage in die Zeit gesetzt.

Die Ausstellung entstand in der Zusammenarbeit der Akademie der Künste, Berlin, mit dem ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe. Die Gemeinschaft von Künstlern der unterschiedlichen Medien des Ausdrucks in der Akademie der Künste und ihr Archiv sowie die Sammlung, das Laboratorium zur Medienkunst und zu den Wissenschaften und Künsten des ZKM haben hier eine vielversprechende Verbindung gefunden. Von besonderer Bedeutung waren die Archive der Akademie der Künste, deren Bestände einen erheblichen Anteil an der Zukunft der Künste haben, wenn wir in Archiven nicht nur Vergangenes, sondern Künftiges zu lesen lernen.
Wir danken den Künstlern, den Leihgebern und Förderern dieses Projekts. Ohne die großzügige Unterstützung des Hauptstadtkulturfonds und einiger Sponsoren hätten wir dieses Vorhaben nicht verwirklichen können.

Als wir mit Harald Szeemann vor einigen Jahren in der Akademie über die Idee sprachen, war er überzeugt, begeistert und mit vielen Hinweisen dabei. Seine Ausstellungen von 1957 bis 2005 haben das Denken der Kunst, die Kunst selbst, ihre Verräumlichung und Verzeitlichung tief beeinflusst. Dem Andenken Harald Szeemanns (1933–2005) widmen wir »Notation. Kalkül und Form in den Künsten«.


Liste der beteiligten Künstler (pdf, 25 kb)